Experteninterview mit Prof. Dr. Jörg Fengler
Für den heutigen Beitrag habe ich mir den erfahrenen Spezialisten Prof. Dr. Jörg Fengler eingeladen und wir wollen gemeinsam der Frage nachgehen, ob dich dein Traumberuf vor einem Burnout schützen kann und was du gegen die Stress-Spirale tun kannst, wenn die Belastung schon zu hoch ist. Als berufstätige Mutter kenne ich das Gefühl selbst ganz gut und habe mir dazu im letzten Jahr Unterstützung geholt, um mit dieser Situation besser fertig zu werden. ...hat geholfen 😉
Zahlen, Daten Fakten
Laut einer Studie der AOK hat sich die Diagnosehäufigkeit von Burnout im letzten Jahrzehnt beinahe verdreifacht. Hochgerechnet auf alle gesetzlich krankenversicherten Beschäftigten ergeben sich aus den AOK Zahlen für 2018 rund 176.000 Burn-out-Betroffene mit kulminierten 3,9 Millionen Krankheitstagen. Die psychischen Erkrankungen sind nach dem Muskel-Skelett-System (meist „Rückenschmerzen“), die zweithäufigste Ursache für Krankheitstage bis hin zur Arbeitsunfähigkeit. Seit 2019 ist sogar ein Wandel zu beobachten, dass die Muskel-Skelett-Erkrankungen leicht zurückgehen und die psychischen Erkrankungen ansteigen. (Quelle: statistika.com)
Mein Gast
Jörg Fengler ist emeritierter Professor für Klinische und Pädagogische Psychologie, leitet sein eigenes Institut, ist Psychologischer Psychotherapeut, Supervisor, Trainer, Autor, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von Verlagen, Fachgesellschaften und Ausbildungs-Instituten und diese Liste ist noch nicht mal vollständig… Ich hatte das Glück, bei Ihm einen Teil meiner Coaching-Ausbildung zu absolvieren, was eine sehr bereichernde Erfahrung war, die bis heute nachwirkt.
Das Interview
Hallo Jörg, ich freue mich sehr, dass ich wir heute über das Thema Burnout-Prävention sprechen. Herzlich Willkommen erst einmal!
Teil deiner Expertise ist, dass du dich seit den 70er Jahren intensiv mit dem Thema Burnout-Ursachen und Prävention beschäftigst – nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch in Bezug auf Ausgebrannte Teams. Heute will ich mit Dir vor allem die betroffenen Individuen beleuchten, wie sie sich vor einem Burnout schützen können und ob die Ausübung des Traumberufs vielleicht ein Burnout verhindern kann.
Ja, vielen lieben Dank für die Idee zu diesem Interview. Ich bin gespannt auf deine Fragen und steige schon mal gleich ein zu der These, ob der Traumberuf vor einem Burnout schützen kann. Manchmal ja; aber der Traumberuf birgt zwei Gefahren: zum einen die Überidentifikation mit dem Beruf, bei der das Privatleben und die Erholung völlig in den Hintergrund treten. Zum anderen kann auch im Traumberuf eine Desillusionierung einsetzen, weil in der Ausübung der Tätigkeit Kompromisse geschlossen werden müssen, mit denen man vorher nicht gerechnet hat. Das kommt zum Beispiel häufig bei Lehrern, in der Pflege oder der Suchtberatung vor.
Das ist spannend! Heißt das, es gibt Berufsgruppen, die besonders von Burnout betroffen sind?
Tatsächlich lässt sich die Diagnose nicht an bestimmte Berufsgruppen binden. Es gibt eher die Gruppen, die mehr klagen als andere und es deshalb dort stärker in den Fokus rücken. Auch Hausfrauen, Studierende, Schauspieler und Arbeitslose sind stark Burnout-gefährdet.
Also sind es weniger bestimmte Berufe, die uns ausbrennen lassen, sondern eher gefährdete Personengruppen? Ich denke da aus eigener Erfahrung vor allem an Elternteile, die sich zwischen Job, Kindern und Haushalt zerreißen und irgendwann einfach nur noch erschöpft sind.
Ja, Eltern auch! Hier spielt besonders der Faktor: „Die Arbeit hört nie auf“ eine wesentliche Rolle.
Andere Einflußfaktoren, die zu einem Burnout führen können, sind „wenige Erfolgserlebnisse", wenn z.B. ein Arbeitsloser eine Absage nach der anderen bekommt und keinen Ausgleich dazu findet oder in der Suchtberatung die Erfolge ausbleiben, weil die Patienten immer wieder rückfällig werden. Auch die Ungewissheit über die Dauer des Arbeitsverhältnisses, insbesondere bei befristeten Verträgen sowie Sanktionen und Mobbing im Unternehmen können sehr belastend sein bis hin zur fehlenden gesellschaftlichen Würdigung.
Verstehe. Sind das denn die Hauptursachen für ein Burnout oder gibt es noch andere Einflußfaktoren, die das Ausbrennen begünstigen?
In dem von mir entwickelten Salamander-Modell sind 7 Stressquellen und 7 Präventionsebenen definiert.
Bei den Stressquellen steht an erster Stelle die Person selbst, die den Stress erfährt und ihn selbst erzeugt durch Perfektionsstreben, zu hohe Ansprüche an sich selbst, mangelndes Zeitmanagement etc. Hier gilt es genau hinzuschauen und sich selbst zu reflektieren. Das hat man selbst in der Hand; jeder ist sein eigener Regisseur.
Die zweite Stressquelle ist unser Privatleben. Das wird oft als der schützende Ausgleich zum feindseligen Arbeitsleben dargestellt. Aber auch hier treten Stressoren in der Partnerschaft und der Familie auf. Wir sind auf dieser Ebene wie im Berufsleben auf andere angewiesen, müssen tolerieren, verhandeln, uns abgrenzen und konstruktiv kommunizieren. Das fällt nicht allen leicht.
Auch unsere Gesellschaft spielt eine Rolle. Beispiele für Stressoren sind hier neue gesellschaftliche Bewegungen, politische Unsicherheiten oder politische Entscheidung, Stigmata gegenüber bestimmten Gruppen usw.
Und dann kommt noch der Bereich der Arbeit, der sich in mehrere Stresspunkte aufgliedern lässt:
- Der Umgang mit Zielgruppen
- Das Team
- Der oder die Vorgesetzte(n)
- Das Unternehmen bzw. die Institution selbst
In deinem Buch „Burnout Prävention im Arbeitsleben“ beschreibst du diese Stressoren im Detail und auch die Präventionsmaßnahmen, auf die wir auch gleich noch eingehen. An dieser Stelle möchte ich gerne noch näher auf die eigene Person als Stressfaktor eingehen. Inwiefern hat die persönliche Konstitution mit der Anfälligkeit für ein Burnout zu tun?
Unser persönliches Verhalten und unsere Denkmuster sind sehr eng miteinander verbunden. Besonders geprägt von den Einschärfungen unserer Eltern gehen wir durchs Leben und versuchen, perfekt zu sein, es allen recht zu machen oder alles zu schaffen und auszuhalten. Kritisch wird es, wenn die elterliche Liebe an diese Bedingungen geknüpft wurde und wir gezwungen waren gehorsam zu sein oder unsere Eltern stolz zu machen, um Liebe zu erfahren. Dann werden diese elterlichen Gebote und Verbote wie z.B. „lerne zu leiden ohne zu klagen“, „sei stark“, „mach bloß keine Fehler“ usw. zu sehr destruktive Antreiber für unser Leben.
Anfällig für ein Burnout ist, wer diese Einschärfungen im Erwachsenenalter nicht relativieren und für sich lockern kann.
Meistens merken die Betroffenen es ja leider viel zu spät, dass sie in einem Burnout stecken und haben dann lange mit den Folgen zu kämpfen bis hin zum Jobverlust, Scheitern von Beziehungen etc. Auf welche Warnzeichen sollte man achten, um frühzeitig entgegenzusteuern?
Es gibt 3 Warnzeichen auf die man achten sollte.
- Erschöpfung: Wenn man keine Lust mehr hat und morgens nicht aus dem Bett kommt, sich mittags am liebsten hinlegen möchte und abends nicht zur Ruhe kommt.
- Leistungsminderung: Man wird langsamer in der Arbeit, es schleichen sich Fehler ein, die Qualität leidet, Termine werden nicht mehr eingehalten, die Zuverlässigkeit sinkt.
- Sinnkrise: Der Job ist zur Routine geworden, er bringt keine Inspiration mehr und die Identifikation mit dem Beruf sinkt. Der Wunsch nach Gestaltung wird nicht mehr erfüllt, und die Betroffenen fragen sich: „Was habe ich hier noch zu suchen?“. Oft folgt ein Reflex von „Ich will hier raus und zwar so schnell wie möglich!“ Aber bitte, nicht überstürzt kündigen! Das kann dazu führen, dass man in ein noch tieferes Loch fällt.
Das sind drei sehr gute Anhaltspunkte auf die also jeder achten kann. Sollte ich denn schon aktiv werden, wenn ich nur eins dieser Dinge bei mir erkenne?
Im Sinne der frühen Prävention ja!
Wenn ich von diesen Warnzeichen nichts weiß und dann schon kopfüber im dicksten Burnout stecke… habe ich überhaupt noch eine Chance, da alleine wieder rauszukommen?
Wenn man erkennt, dass man in einem Burnout steckt, fängt man am besten bei sich selbst an. Es ist hilfreich, sich anzuschauen, wie die letzten Monate verlaufen sind. Was habe ich an Eigenwirksamkeit versäumt? Wo habe ich keine Grenzen gesetzt? Dabei hilft es, ein Beobachtungstagebuch zu schreiben und damit eine eigene Verhaltensanalyse zu erstellen. Auch eine Tagelaufanalyse kann Ansatzpunkte im eigenen Verhalten aufdecken, um entsprechend gegenzusteuern.
Leichter wird dieser Prozess es mit der Unterstützung eines Coachings oder einer Supervision. Ich empfehle in der Regel eine Dauer von 3 - 5 Sitzungen im Abstand von 2 bis 4 Wochen. Danach sollte schon eine Besserung eintreten, sonst kann man auch verlängern.
Kann ich mich denn nicht einfach an meinen Hausarzt wenden? Ich kenne einige, die zuerst diesen Schritt gegangen sind…
Burnout ist keine psychotherapeutische klinische Diagnose. Es ist vielmehr eine Begleiterscheinung, die mitbehandelt wird. Ein Arzt braucht also immer einen anderen Ansatzpunkt wie Angststörung, Zwangsstörung, Depression o.ä. Meine Erfahrung ist auch, dass manche Hausärzte damit nicht so viel anfangen können. Sie suchen dann nach körperlichen Ursachen, verschreiben Medikamente oder überweisen an den Psychiater. Ein Coach oder Supervisor arbeitet da zielgerichteter und geht der Sache auf der seelischen Ebene auf den Grund.
Wir haben jetzt ja von Dir gehört, dass der Traumjob oder überhaupt der Job nicht unbedingt etwas damit zu tun hat, ob ich Burnout gefährdet bin oder nicht, sondern dass es vielmehr die persönlichen Denk- und Verhaltensweisen sind, die uns je nach Belastung mit anderen Stresspunkten ausbrennen lassen. Was kann ich denn selbst präventiv tun, wenn ich nicht im Laufe meiner Karriere ausbrennen möchte?
Man kann vorbeugen indem man selbst auf sich achtet. Das gelingt mit einem regelmäßigen Selbstfeedback - eine Art Bilanz, die man für sich alle 3 Monate selbst einplant – im Januar, im April, im Juli und im Oktober.
Oh, das klingt nach viel Arbeit. Ich hätte jetzt auf eine jährliche oder halbjährliche Bilanz getippt, so handhabe ich das zumindest seit ich selbständig bin. Ist das zu wenig?
Ein Rhythmus von 3 Monaten ist hilfreich, damit sich Unzufriedenheit gar nicht erst einschleicht. Man richtet sich sonst viel zu sehr in einer unzufriedenstellenden Situation ein, fängt an zu bagatellisieren und passt seine Ansprüche an. „Ist doch alles gar nicht so schlimm“, „Stell dich nicht so an“, „Sei mal nicht so anspruchsvoll“ sind dann Gedanken, die eine ehrliche Auseinandersetzung verhindern.
Was genau sollte in dieser regelmäßigen Rückschau passieren?
Man sollte sich ca. 2 h Zeit dafür nehmen und genau hinschauen:
- Was gut war in den letzten drei Monaten?
- Was war nicht so gut oder sogar schlecht?
- Bin ich noch zufrieden? Es müssen keine 100% sein, auch 70-80% können ausreichen, um zufrieden zu sein!
- Was wünsche ich mir anders?
- Wovon wünsche ich mir mehr, wovon weniger?
Ja, das macht Sinn und bringt es auf den Punkt. Achtsamkeit scheint DAS Zauberwort zu sein, wenn es darum geht, ein Burnout frühzeitig zu erkennen und dem entgegen zu wirken. Ich beschäftige mich selbst seit einigen Jahren damit, weil ich tendenziell auch ein Kandidat bin, der sich gerne selbst überfordert. Was hat aus deiner Sicht Achtsamkeit mit Stressbewältigung zu tun?
Wenn wir achtsam mit uns umgehen, kümmern wir uns um unsere Seele. Mit mehr Achtsamkeit fällt es uns leichter, das Grübeln aufzulösen und dem Hier und Jetzt mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
Ein zentraler Aspekt für die Stressreduktion durch Achtsamkeit ist die Entschleunigung. Damit meine ich: bewusst langsamer gehen, die Hast rausnehmen, tiefer atmen. Wenn man z.B. auf dem Weg zur Post ist, ist es egal ob ich in 6 oder 7 Minuten dort ankomme. Das macht in der Erledigung der Sache keinen großen Unterschied, im Erleben schon! Wenn ich langsamer gehe, verändert sich meine Atmung automatisch. Ich kann besser genießen was ich auf dem Weg sehe, höre oder rieche. Der Moment wird reichhaltiger, ich nehme mehr Nuancen wahr, die in mir vorgehen und kann vielleicht auch geduldiger mit anderen sein.
Zum Schluss noch eine ganz persönliche Frage: Warst du auch mal Burnout-gefährdet und wie bist du damit umgegangen?
Ja, ich hatte mit 55 eine Sinnkrise. Ich war gesättigt und fragte mich, ob ich noch bis zur Pension an der Uni tätig sein wollte. Ich war eher lustlos statt erschöpft. Ich bin dann erstmal zu meinem Hausarzt gegangen und der sagte mir, dass es für die Beantragung der Frührente zu spät sei. Da hätte ich schon eher mal Kuren beantragen müssen und außerdem wären meine Vitalwerte gut, ich sei super in Form. Allein diese Auskunft hat mir schon einen neuen Kick gegeben. Wenn mit mir alles in Ordnung war, konnte ich ja neu durchstarten. Ich habe danach beschlossen die Arbeit an der Uni etwas leichter zu nehmen und habe mir spannende Nebentätigkeiten gesucht, die ich mit meiner wissenschaftlichen Arbeit gut kombinieren konnte. Ich habe angefangen Bücher zu schreiben, zu denen ich wirklich Lust hatte; ich habe angefangen, als Supervisor und Psychotherapeut zu arbeiten und habe meine Vorlesungen mit neuen spannenden Themen gestaltet. Diese Freiheit konnte ich mir nehmen und wurde akzeptiert, weil ich dadurch auch wieder spannende Praxisbeispiele in meine Lehre einbauen konnte. Das hat mich selbst bereichert und auch meine Studenten und Studentinnen. Dieser Veränderungsprozess hat ein halbes Jahr gedauert und hat dazu geführt, dass ich auch heute als emeritierter Professor immer noch gerne arbeite.
Vielen vielen Dank für deine Offenheit, die praktischen Tipps und die schöne Inspiration am Ende lieber Jörg. Dein Beispiel zeigt, dass es nicht immer der radikale Wandel sein muss, um wieder glücklich und zufrieden zu sein. Mit etwas Achtsamkeit, regelmäßiger Selbstfürsorge und Kreativität finden sich Wege heraus aus der Sinnkrise - und das kann vor einem Burnout bewahren.
Hast du auch das Gefühl langsam auszubrennen? Was sind deine Erfahrungen mit Stress? Diskutiere mit oder schreibe mir eine persönliche Nachricht. In einem kostenfreien Erstgespräch finden wir gemeinsam heraus, ob und wie ich Dich unterstützen kann.